ASVG: keine Parteistellung der Abgabenbehörde nach § 111a bei falscher oder nicht rechtzeitig erstatteter Meldung (§ 111 Abs 1 Z 1 zweiter und dritter Fall)
LVwG-S-2387/001-2020, 29.10.2021
§ 9 Abs 1 Z 5 VwGVG wurde offenkundig nach dem Vorbild des § 28 Abs 1 Z 7 VwGG idF vor BGBl I Nr 33/2013 gestaltet. Die zuletzt genannte Regelung diente allerdings dazu, dem VwGH schon vor Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde jene Informationen zu verschaffen, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde erforderlich waren, um damit die Verursachung überflüssigen weiteren Verfahrensaufwandes durch die Einleitung eines Vorverfahrens für die belangte Behörde, allfällige mitbeteiligte Parteien und auch den Gerichtshof selbst zu vermeiden. Dieser Zweck lässt sich nicht ohne weiteres auf das neue Rechtsschutzregime nach dem VwGVG übertragen, weil die Bescheidbeschwerde an das Verwaltungsgericht ohnedies bei der belangten Behörde einzubringen ist (vgl §§ 12 und 20 VwGVG), die selbst die Zustellung verfügt (oder den Bescheid mündlich verkündet) und dokumentiert hat.
Die Beschwerde hat nach § 9 Abs 1 Z 5 VwGVG lediglich jene Angaben zu enthalten, „die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist“. Dementsprechend sind diesbezügliche Angaben der Partei dann entbehrlich, wenn schon nach der Aktenlage (zB anhand des Zustellnachweises) keine Zweifel an der Rechtzeitigkeit der Bescheidbeschwerde bestehen (vgl zum Ganzen Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 9 VwGVG Rz 45 [Stand 15.2.2017, rdb.at]; in diesem Sinn auch Forster/Pichler in Köhler/Brandtner/Schmelz [Hrsg], Kommentar zum Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz [2021], Rz 15 f zu § 9 VwGVG, sowie Larcher in Raschauer/Wessely [Hrsg], VwGVG § 9 Rz 5 [Stand 31.3.2018, rdb.at]).
Es ist zumutbar, sich vor Einreise nach Österreich über die in Kraft stehenden Einreisebestimmungen nach der COVID-19-EinreiseVO bei der zuständigen Behörde zu informieren. Eine Nachfrage im Reisebüro ist nicht entscheidend, da ausschließlich die Nachfrage bei einer zuständigen Behörde (hier: konkret einer Gesundheitsbehörde) einen das Verschulden ausschließbaren Rechtsirrtum abstrakt begründen könnte.
Nach der herrschenden (zivilrechtlichen) Auffassung führt ein statutenwidriges Handeln der Organe einer juristischen Person nicht zu einer Rechtsunwirksamkeit der Handlung gegenüber Dritten und ist die Rechtsfähigkeit einer auf Statuen gegründeten juristischen Person nicht auf den so definierten Wirkungsbereich beschränkt (Ablehnung der „ultra-vires-Lehre“, zB OGH 4Ob341/86; 7Ob208/20v, jeweils mit Hinweisen auf die Lehre). Aus dem öffentlichen Recht kann sich mit Wirkung für die Parteistellung in Verwaltungsverfahren bzw die Beschwerdelegitimation hinsichtlich der darin erlassenen Bescheide anderes ergeben.
Die Beschwerdelegitimation eines Vereins iZm seiner Beteiligung als Umweltorganisation iSd §§ 27b und 27c NÖ NSchG ist nach diesen Bestimmungen iVm § 19 Abs 7 UVP-G zu prüfen. […] Für eine teleologische Reduktion, nämlich im konkreten Zusammenhang den Gesetzeswortlaut in Bezug auf den Tätigkeitsbereich der Umweltorganisation – und damit ihre Beschwerdelegitimation – auf einen allfälligen räumlich oder sachlich durch die Statuten der Organisation beschränkten Umfang einzuschränken, besteht kein Anlass. Die Rechtsfigur der teleologischen Reduktion soll nach der Rsp (zB VwGH Ro 2019/19/0006) der ratio legis gegen einen überschießenden weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung verschaffen, was voraussetzt, dass eine Gesetzesauslegung auf das Vorliegen einer planmäßig überschießenden Regelung hinweist. Dabei ist im Zweifel nicht davon auszugehen, dass die Anwendung einer ausdrücklich getroffenen Regel vom Gesetzgeber nicht auf alle davon erfassten Fälle beabsichtigt war.
§ 27b und § 27c NÖ NSchG zielen auf die Umsetzung unionsrechtlicher Verpflichtungen, insbesondere der Aarhus-Konvention. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die betroffene Öffentlichkeit auch an bestimmten naturschutzrechtlichen Verfahren beteiligen kann, wobei als „betroffene Öffentlichkeit“ „zumindest Umweltorganisationen als solche zu betrachten“ sind (vgl Ltg.-506/A-1/30-2018). Daraus ergibt sich, dass die Einräumung der Parteistellung im § 27b Abs 1 NÖ NSchG bzw die Befugnis zur nachprüfenden Kontrolle nach § 27c NÖ NSchG nicht primär dem Interesse der einzelnen Umweltorganisation an der Verwirklichung ihrer satzungsgemäßen Zwecke dient und nicht subjektive Rechte zur Durchsetzung der von den Umweltorganisationen sich selbst gestellten Aufgaben begründet werden sollen, sondern geht es um eine nach sachlichen Kriterien plausible Auswahl der in Betracht kommenden Repräsentanten der Öffentlichkeit, wofür die maßgeblichen Kriterien in § 19 Abs 6 UVP-G definiert werden.
Der Gesetzgeber hat in §27b und § 27c NÖ NSchG eine Differenzierung nach dem Tätigkeitsbereich innerhalb des Gebietes des Umweltschutzes oder eine räumliche Einschränkung auf kleinere Einheiten als ein gesamtes Bundesland nicht vorgenommen […]. Damit hat er offensichtlich in Kauf genommen, dass Parteienrechte über den eigentlichen Tätigkeitsbereich einer Umweltorganisation hinaus wahrgenommen werden können, was auch durch die unterschiedslose Einräumung der Parteienrechte in Bezug auf Projekte in den Nachbarbundesländern des Tätigkeitsbereichs der Umweltorganisation ermöglicht wurde, unabhängig davon, ob ein Vorhaben in einem Nachbarbundesland tatsächlich Auswirkungen auf das Tätigkeitsbundesland haben könnte. Damit ist klar, dass der Gesetzgeber des UVP-G eine Einschränkung der Parteienrechte von inländischen Umweltorganisationen hinsichtlich des sachlichen und örtlichen Tätigkeitsbereiches […] nicht beabsichtigte. Durch den Verweis auf das UVP-G hat der NÖ Landesgesetzgeber diese Wertung übernommen.
Aus § 31 Abs 8 zweiter Satz NÖ NSchG ergibt sich, dass die aus einer Bewilligung oder Ausnahme und den damit verbundenen Bedingungen oder Auflagen resultierenden Rechte und Pflichten jeweils den Berechtigten treffen. Das Gesetz geht somit von einem Projektwerber als Antragsteller aus, der entweder selbst Grundeigentümer (der Liegenschaft, auf der das Vorhaben verwirklicht werden soll) ist oder im Sinne einer Realisierungsvorsorge Zugriff auf diese Liegenschaft hat, und dass Rechte und Pflichten aus einer Genehmigung untrennbar sind.
Eine Antragstellung für Dritte ist im NÖ NSchG, wie aus dem System des § 31 leg cit ersichtlich, nicht vorgesehen. Ein Ansuchen um naturschutzrechtliche Ausnahmebewilligung, mit welchem die Antragsteller keine Bewilligung begehren, von der sie selbst Gebrauch zu machen beabsichtigen, sondern – im Sinne eines „Blankoschecks“ – eine Vorabgenehmigung zugunsten Dritter anstreben, die in der Zukunft womöglich Vorhaben verwirklichen wollen, für die es einer Ausnahmegenehmigung iSd § 20 Abs 4 NÖ NSchG bedürfte, ist mangels Antragslegitimation zurückzuweisen.
Abgesehen von dem allgemeinen Grundsatz, dass Ausnahmen eng auszulegen sind (vgl VwGH 2009/09/0080), folgt aus dem hohen Stellenwert, den das Gesetz dem auch unionsrechtlich (Umsetzung von FFH- und Vogelschutzrichtlinien) gebotenen Artenschutz zumisst, und den in § 20 Abs 4 und 5 NÖ NSchG zum Ausdruck kommenden Anforderungen, dass in Bezug auf die Erteilung von Ausnahmen von den Eingriffsverboten des § 18 Abs 4 NÖ NSchG ein strenger Prüfmaßstab anzulegen ist.
Der Ausnahmetatbestand des § 20 Abs 5 Z 3 NÖ NSchG begnügt sich nicht mit dem bloßen Vorliegen eines öffentlichen Interesses sozialer oder wirtschaftlicher Art, sondern es müssen dies zwingende Gründe sein und es muss sich um überwiegende öffentliche Interessen handeln. Eine derartige Beurteilung ist jedoch nur möglich, wenn das einzelne Vorhaben soweit konkretisiert ist, dass es eine Beurteilung dahingehend erlaubt, ob die Gründe zwingend sind und so schwer wiegen, dass sie das Interesse an der unbeeinträchtigten Arterhaltung und damit der ungeschmälerten Einhaltung der artenschutzrechtlichen Bestimmungen überwiegen.
Um im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung (§ 20 Abs 5 Z 3 NÖ NSchG) über die Erforderlichkeit von Einschränkungen, Bedingungen und Auflagen zu entscheiden, ist die Kenntnis des konkreten Vorhabens erforderlich. So kann die bei einer Ausnahmegenehmigung gebotene Einzelfallprüfung etwa zum Ergebnis führen, dass die besondere Interessenlage den Eingriff zwar rechtfertigt, aber die Interessenabwägung andere Bedingungen und Auflagen erfordert, als ein anderes ebenfalls die Voraussetzung für eine Ausnahmegenehmigung grundsätzlich aufweisendes Projekt.
Hinsichtlich der Überprüfbarkeit des Vorliegens eines Ausnahmegrundes iSd § 15 der 3. COVID-19-NotMV erscheint ein Rückgriff auf die vom VwGH zu § 19 Abs 3 AVG entwickelte Judikatur zielführend (vgl etwa 2009/02/0292) […], wonach die Möglichkeit der Überprüfbarkeit des Vorliegens des Ausnahmegrundes durch die Verwaltungsbehörde bzw das VwG wesentlich ist (vgl VwGH 2000/09/0150) [hier: beiden konkret vorgelegten Befreiungsattesten war keine individualisierte Begründung zu entnehmen, aus der sich ergeben würde, weshalb konkret die Beschwerdeführerin vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreit wäre].
Auf Grund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung sollen in einem Rechtsgebiet entwickelte Rechtsbegriffe, wenn sie in einem anderen verwendet werden, dort im selben Sinne ausgelegt werden. Das COVID-19-MG, auf dessen Grundlage die 3. COVID-19-NotMV erlassen wurde, regelt eindeutig Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (vgl § 1 Abs 1 leg cit). Der [nach der Rsp des OGH zum Sozialrecht iZm dem Begriff des gemeinsamen Haushalts herangezogene] Faktor der Bedarfsdeckung steht bei der Regelung eines Mindestabstandes (§ 2 Abs 1 3. COVID-19-NotMV) oder der Verpflichtung zum Tragen einer Maske in einem Fahrzeug, wenn haushaltsfremde Personen mitfahren (§ 4 Abs 1 3. COVID-19-NotMV), nicht im Vordergrund. Daraus folgt im Ergebnis, dass das Kriterium der Wirtschaftsgemeinschaft bei der Interpretation des Begriffes des „gemeinsamen Haushalts“ in § 4 Abs 1 3. COVID-19-NotMV nicht ausschlaggebend ist. Maßgeblich ist vielmehr das Kriterium der Wohngemeinschaft.
Die Rsp verlangt für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen. Liegen aber im Ergebnis zwei getrennte Haushalte vor, wird diese Trennung nicht dadurch aufgehoben, dass die Personen viel Zeit miteinander verbringen. Ein teilweiser gemeinsamer Haushalt ist nach dem Verordnungswortlaut des § 4 Abs 1 3. COVID-19-NotMV außerdem nicht ausreichend.
Für die Anwendung der Ausnahmebestimmung von der Tragepflicht von Masken (§ 16 COVID-19-SchuMaV) ist eine ernsthafte und fachlich fundierte Begründung im Hinblick auf die konkreten gesundheitlichen Beschwerden des Betroffen, insbesondere auch im Hinblick auf den Zweck der Befreiung, geboten. Dies ergibt sich aus § 55 ÄrzteG, wonach für ärztliche Zeugnisse eine „gewissenhafte ärztliche Untersuchung“ sowie eine „genaue Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen“ normiert ist. Diese Regelung gilt auch für ärztliche Gutachten, Bestätigungen oder Bescheinigungen (vgl. Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 3. Aufl, § 55 FN 2).
Bestehen Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung, weil im vorgelegten „Maskenbefreiungsattest“ keine nachvollziehbare Darstellung, auf welcher Grundlage die Diagnose erstellt wurde, existiert und wie sich die gesundheitlichen Beschwerden im konkreten Fall auswirken, und fehlen Ausführungen, in welchem Ausmaß konkret das Tragen einer Maske unzumutbar ist, […] darf auf die Beurteilung und die Auskunft dieses Arztes nicht vertraut werden (vgl ua etwa sinngemäß zur Einholung von – auf vollständigen Sachverhaltsgrundlagen basierenden – Auskünften kompetenter Stellen oder sonstiger sachkundiger Personen und der Folgen, wenn Zweifel an der Richtigkeit der eingeholten Auskünfte bestehen müssen ua VwGH 87/02/0018 und VwGH 2011/09/0188, sowie weiterführende Ausführungen bei Wessely, in Raschauer/Wessely (Hrsg), VStG2 § 5 VStG, Rz. 26 bis 28, S. 156f).
Entspricht das „Maskenbefreiungsattest“ nicht den Erfordernissen des § 55 ÄrzteG, ist es nicht geeignet, als Bescheinigung iSd § 18 Abs 2 der 4. COVID-19-SchuMaV zu gelten.