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NAG/BREXIT-DV: Daueraufenthaltsrecht – Auslegung „weiterhin wohnen“ in Art. 10 Abs 1 lit b Austrittsabkommen, ABl 2019/C 384 I/01;


LVwG-AV-1328/001-2022, 12.12.2023


Nicht nur Personen, denen nach Art 10 Abs 2 Austrittsabkommen, ABl 2019/C 384 I/01, sondern auch Personen, denen nach Art 10 Abs 1 und 3 leg cit ein Aufenthaltsrecht zukommt, können einen Aufenthaltstitel „Artikel 50 EUV“ beantragen. Dies ergibt sich aus dem die Möglichkeit einer Strafregister- und Sicherheitsüberprüfung vorsehenden § 4 Brexit-DVO, der ausdrücklich von einem „Fremden, gemäß Art 10 Abs 1 bis 3 des Austrittsabkommens, der einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Artikel 50 EUV‘ gestellt hat“ spricht und auch aus § 7 Abs 1 Z 1 Brexit-DVO, der festlegt, welche Urkunden und Nachweise von „britischen Staatsangehörigen gemäß Art 10 Abs 1 lit b des Austrittsabkommens“ gestellten Anträgen anzuschließen sind.

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Artikel 50 EUV“ ist, dass der persönliche Anwendungsbereich des Austrittsabkommens, ABl 2019/C 384 I/01, eröffnet ist, weiters dass der Antrag fristgerecht gestellt wurde und dass neben einem gültigen Identitätsdokument die in § 7 Abs 1 Brexit-DVO […] festgelegten Urkunden und Nachweise vorgelegt werden.

Art 10 Abs 1 lit b Austrittsabkommen, ABl 2019/C 384 I/01, stellt lediglich darauf ab, dass vom Recht auf Aufenthalt vor Ende des Übergangszeitraumes Gebrauch gemacht wurde. Dass das Recht auf Aufenthalt vor, nach und auch im Zeitpunkt des Ablaufs des Übergangszeitraumes bestanden haben und auch tatsächlich ausgeübt worden sein müsste, ist Art 10 Abs 1 lit b Austrittsabkommen nicht zu entnehmen, zumal in dessen Text der das Erfordernis einer Kontinuität indizierende Begriff „weiterhin“ nur hinsichtlich des dritten Tatbestandselement des „Wohnens“, nicht aber hinsichtlich des zweiten Tatbestandselements, der Ausübung des Rechts auf Aufenthalt, verwendet wird.

Bezüglich der Verpflichtung des Art 10 Abs 1 lit b Austrittabkommen, ABl 2019/C 384 I/01, dass die betreffende Person nach Ende des Übergangszeitraumes „weiter“ im Aufnahmestaat „wohnen“ muss, ergibt sich aus der Verwendung des Wortes „weiterhin“, dass eine Kontinuität des „Wohnens“ gegeben sein muss. Die in Frage stehende Person muss sowohl vor dem Ende des Übergangszeitraumes als auch nach dessen Ende iSd Art 10 Abs 1 lit b Austrittsabkommen in Österreich „wohnen“.

Für die Frage, ob eine Person weiterhin iSd Art 10 Abs 1 lit b Austrittsabkommen, ABl 2019/C 384 I/01, in Österreich „wohnt“ ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Person nicht etwa für bloß – allenfalls auch mehrwöchige – touristische Zwecke nach Österreich zurückkehrt. Für ein „weiterhin Wohnen“ iSd Art 10 Abs 1 lit b spricht, wenn eine Person in Österreich über persönliche sowie soziale Bindungen verfügt, die weit über das hinausgehen, was auch bei wiederholten bloßen Urlaubsaufenthalten an einem Ort typischerweise zu erwarten ist. Hierbei sind sowohl die Häufigkeit der Aufenthalte als auch die Dauer dieser Aufenthalte zu beachten.

Bei der Frage nach der Kontinuität des „Wohnens“ iSd Art 10 Abs 1 lit b Austrittsabkommen, ABl 2019/C 384 I/01, ist zu berücksichtigen, wodurch eine Abwesenheit begründet ist und inwiefern die einen Lebensmittelpunkt (auch) im Aufnahmestaat begründenden Umstände sowohl vor als auch nach der Abwesenheit vorlagen bzw vorliegen. Weiters stellt Art 15 Austrittsabkommen, der den Verlust des einmal erworbenen Daueraufenthaltsrechts nach einer fünf aufeinanderfolge Jahre überschreitenden Abwesenheit vorsieht, einen Anhaltspunkt dafür dar, nach welcher Abwesenheitsdauer nicht mehr von einer Kontinuität des „Wohnens“ ausgegangen werden kann.

Das NAG enthält zwar keine Bestimmung, die den Verlust eines durch einen Unionsbürger entsprechend der RL 2004/38/EG einmal erworbenen Daueraufenthaltsrechts ausdrücklich im Detail regeln würde; in diesem Nicht-Vorliegen einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung kann jedoch keine „günstigere einzelstaatliche Rechtsvorschrift“ iSd des Erwägungsgrundes 29 der RL 2004/38/EG gesehen werden.

Art 15 Austrittsabkommen, ABl 2019/C 384 I/01, (auf den auch § 6 Abs 4 Brexit-DV Bezug nimmt) enthält für Personen, die in den persönlichen Anwendungsbereich des Austrittsabkommens fallen, von Art 16 RL 2004/38/EG zu unterscheidende Regelungen betreffend den Erwerb und den Verlust des Rechts auf Daueraufenthalt. Daher verdrängt Art 15 Austrittsabkommen in seinem Anwendungsbereich als sowohl speziellere als auch später erlassene Regelung Art 16 RL 2004/38/EG (und allfällige nationale Rechtsvorschriften zu dessen Umsetzung).

Volltext der Entscheidung