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NÖ NSchG: Frage der Maßgeblichkeit der Satzung einer Umweltorganisation für Beschwerdelegitimation nach § 27c; Antragslegitimation für Ausnahmegenehmigung


LVwG-AV-848/001-2021, 31.10.2021

Nach der herrschenden (zivilrechtlichen) Auffassung führt ein statutenwidriges Handeln der Organe einer juristischen Person nicht zu einer Rechtsunwirksamkeit der Handlung gegenüber Dritten und ist die Rechtsfähigkeit einer auf Statuen gegründeten juristischen Person nicht auf den so definierten Wirkungsbereich beschränkt (Ablehnung der „ultra-vires-Lehre“, zB OGH 4Ob341/86; 7Ob208/20v, jeweils mit Hinweisen auf die Lehre). Aus dem öffentlichen Recht kann sich mit Wirkung für die Parteistellung in Verwaltungsverfahren bzw die Beschwerdelegitimation hinsichtlich der darin erlassenen Bescheide anderes ergeben.

Die Beschwerdelegitimation eines Vereins iZm seiner Beteiligung als Umweltorganisation iSd §§ 27b und 27c NÖ NSchG ist nach diesen Bestimmungen iVm § 19 Abs 7 UVP-G zu prüfen. […] Für eine teleologische Reduktion, nämlich im konkreten Zusammenhang den Gesetzeswortlaut in Bezug auf den Tätigkeitsbereich der Umweltorganisation – und damit ihre Beschwerdelegitimation – auf einen allfälligen räumlich oder sachlich durch die Statuten der Organisation beschränkten Umfang einzuschränken, besteht kein Anlass. Die Rechtsfigur der teleologischen Reduktion soll nach der Rsp (zB VwGH Ro 2019/19/0006) der ratio legis gegen einen überschießenden weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung verschaffen, was voraussetzt, dass eine Gesetzesauslegung auf das Vorliegen einer planmäßig überschießenden Regelung hinweist. Dabei ist im Zweifel nicht davon auszugehen, dass die Anwendung einer ausdrücklich getroffenen Regel vom Gesetzgeber nicht auf alle davon erfassten Fälle beabsichtigt war.

§ 27b und § 27c NÖ NSchG zielen auf die Umsetzung unionsrechtlicher Verpflichtungen, insbesondere der Aarhus-Konvention. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die betroffene Öffentlichkeit auch an bestimmten naturschutzrechtlichen Verfahren beteiligen kann, wobei als „betroffene Öffentlichkeit“ „zumindest Umweltorganisationen als solche zu betrachten“ sind (vgl Ltg.-506/A-1/30-2018). Daraus ergibt sich, dass die Einräumung der Parteistellung im § 27b Abs 1 NÖ NSchG bzw die Befugnis zur nachprüfenden Kontrolle nach § 27c NÖ NSchG nicht primär dem Interesse der einzelnen Umweltorganisation an der Verwirklichung ihrer satzungsgemäßen Zwecke dient und nicht subjektive Rechte zur Durchsetzung der von den Umweltorganisationen sich selbst gestellten Aufgaben begründet werden sollen, sondern geht es um eine nach sachlichen Kriterien plausible Auswahl der in Betracht kommenden Repräsentanten der Öffentlichkeit, wofür die maßgeblichen Kriterien in § 19 Abs 6 UVP-G definiert werden.

Der Gesetzgeber hat in §27b und § 27c NÖ NSchG eine Differenzierung nach dem Tätigkeitsbereich innerhalb des Gebietes des Umweltschutzes oder eine räumliche Einschränkung auf kleinere Einheiten als ein gesamtes Bundesland nicht vorgenommen […]. Damit hat er offensichtlich in Kauf genommen, dass Parteienrechte über den eigentlichen Tätigkeitsbereich einer Umweltorganisation hinaus wahrgenommen werden können, was auch durch die unterschiedslose Einräumung der Parteienrechte in Bezug auf Projekte in den Nachbarbundesländern des Tätigkeitsbereichs der Umweltorganisation ermöglicht wurde, unabhängig davon, ob ein Vorhaben in einem Nachbarbundesland tatsächlich Auswirkungen auf das Tätigkeitsbundesland haben könnte. Damit ist klar, dass der Gesetzgeber des UVP-G eine Einschränkung der Parteienrechte von inländischen Umweltorganisationen hinsichtlich des sachlichen und örtlichen Tätigkeitsbereiches […] nicht beabsichtigte. Durch den Verweis auf das UVP-G hat der NÖ Landesgesetzgeber diese Wertung übernommen.

Aus § 31 Abs 8 zweiter Satz NÖ NSchG ergibt sich, dass die aus einer Bewilligung oder Ausnahme und den damit verbundenen Bedingungen oder Auflagen resultierenden Rechte und Pflichten jeweils den Berechtigten treffen. Das Gesetz geht somit von einem Projektwerber als Antragsteller aus, der entweder selbst Grundeigentümer (der Liegenschaft, auf der das Vorhaben verwirklicht werden soll) ist oder im Sinne einer Realisierungsvorsorge Zugriff auf diese Liegenschaft hat, und dass Rechte und Pflichten aus einer Genehmigung untrennbar sind.

Eine Antragstellung für Dritte ist im NÖ NSchG, wie aus dem System des § 31 leg cit ersichtlich, nicht vorgesehen. Ein Ansuchen um naturschutzrechtliche Ausnahmebewilligung, mit welchem die Antragsteller keine Bewilligung begehren, von der sie selbst Gebrauch zu machen beabsichtigen, sondern – im Sinne eines „Blankoschecks“ – eine Vorabgenehmigung zugunsten Dritter anstreben, die in der Zukunft womöglich Vorhaben verwirklichen wollen, für die es einer Ausnahmegenehmigung iSd § 20 Abs 4 NÖ NSchG bedürfte, ist mangels Antragslegitimation zurückzuweisen.

Abgesehen von dem allgemeinen Grundsatz, dass Ausnahmen eng auszulegen sind (vgl VwGH 2009/09/0080), folgt aus dem hohen Stellenwert, den das Gesetz dem auch unionsrechtlich (Umsetzung von FFH- und Vogelschutzrichtlinien) gebotenen Artenschutz zumisst, und den in § 20 Abs 4 und 5 NÖ NSchG zum Ausdruck kommenden Anforderungen, dass in Bezug auf die Erteilung von Ausnahmen von den Eingriffsverboten des § 18 Abs 4 NÖ NSchG ein strenger Prüfmaßstab anzulegen ist.

Der Ausnahmetatbestand des § 20 Abs 5 Z 3 NÖ NSchG begnügt sich nicht mit dem bloßen Vorliegen eines öffentlichen Interesses sozialer oder wirtschaftlicher Art, sondern es müssen dies zwingende Gründe sein und es muss sich um überwiegende öffentliche Interessen handeln. Eine derartige Beurteilung ist jedoch nur möglich, wenn das einzelne Vorhaben soweit konkretisiert ist, dass es eine Beurteilung dahingehend erlaubt, ob die Gründe zwingend sind und so schwer wiegen, dass sie das Interesse an der unbeeinträchtigten Arterhaltung und damit der ungeschmälerten Einhaltung der artenschutzrechtlichen Bestimmungen überwiegen.

Um im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung (§ 20 Abs 5 Z 3 NÖ NSchG) über die Erforderlichkeit von Einschränkungen, Bedingungen und Auflagen zu entscheiden, ist die Kenntnis des konkreten Vorhabens erforderlich. So kann die bei einer Ausnahmegenehmigung gebotene Einzelfallprüfung etwa zum Ergebnis führen, dass die besondere Interessenlage den Eingriff zwar rechtfertigt, aber die Interessenabwägung andere Bedingungen und Auflagen erfordert, als ein anderes ebenfalls die Voraussetzung für eine Ausnahmegenehmigung grundsätzlich aufweisendes Projekt.

Volltext der Entscheidung