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AVG: Einbringung einer Beschwerde an die nicht kundgemachte, sondern im elektronischen Verkehr im Verfahren verwendete E-mail Adresse


LVwG-S-3293/001-2022, 10.11.2023


§ 61 Abs 4 AVG verfolgt offenkundig den Zweck, den Bescheidadressaten vor negativen rechtlichen Konsequenzen eines behördlichen Fehlers zu schützen, ohne ihn diesbezüglich auf den Weg einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder gar auf ein Amtshaftungsverfahren zu verweisen. Wenn nun sogar die Einbringung bei einer unzuständigen Behörde aufgrund einer fehlerhaften Angabe im Bescheid zulässig ist, muss dies im Sinne eines Größenschlusses umso mehr gelten, wenn bloß die E-Mail-Adresse der zuständigen Behörde unrichtig angegeben ist. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf ob, an welcher Stelle im Bescheid die Angabe dieser unrichtigen (Behörde bzw) Adresse zu finden ist.  

Zwar sieht § 58 Abs 1 AVG ausdrücklich vor, dass ein Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten hat und […] dass durch diese Norm prinzipiell auch die Gliederung des Bescheides vorgegeben wird (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG [Stand 01.03.2023, rdb.at], § 58, Rn 2) und die Rechtsmittelbelehrung daher grundsätzlich am Ende eines Bescheides anzuordnen ist. Der den Inhalt der Rechtsmittelbelehrung näher regelnde § 61 AVG spricht aber sowohl in Abs 3 (zur Rechtsmittelfrist) wie auch in Abs 4 (zur Einbringungsstelle) ausdrücklich vom Bescheid insgesamt und nicht von der Rechtsmittelbelehrung im Speziellen; bereits daraus ließe sich ableiten, dass Ausführungen zu möglichen Rechtsmitteln auch dann wirksam sind, wenn sie nicht der Gliederungsvorgabe des § 58 Abs 1 entsprechen. Zum anderen ergibt sich aus der stRsp, dass zahlreiche Umstände in Bescheiden, die den in § 58 Abs 1 AVG geregelten Anforderungen widersprechen, weder zur Nichtigkeit noch zur Rechtswidrigkeit eines Bescheides führen […], und auch das gänzliche Fehlen der Rechtsmittelbelehrung schadet nicht (vgl § 61 Abs 2).  

Es spricht nichts dafür, abweichend von der […] generellen Interpretation des § 58 Abs 1 AVG als (weitgehend) bloße Ordnungsvorschrift gerade den Teil über die Anordnung der Rechtsmittelbelehrung so auszulegen, dass Angaben über die (Einbringungsbehörde oder) Einbringungsadresse einen maßgeblichen Teil der Rechtsmittelbelehrung darstellen oder nicht, je nachdem wo genau sie auf der Bescheidausfertigung angeordnet sind; im Gegenteil, Rechtsschutzüberlegungen – die § 61 AVG generell immanent sind – sprechen geradezu dagegen: Es ist zwar gesetzlich die Angabe einer E-Mail-Adresse nicht verlangt (vgl VwGH Ra 2023/02/0133 und 134); findet sie sich aber am angefochtenen Bescheid, so muss sie auch dann als Teil der Rechtsmittelbelehrung angesehen werden, wenn sie „disloziert“ dargestellt ist.  

Gegen die in VwGH Ra 2023/02/0133 und 134, Rn 14 bis 16 enthaltene Sichtweise spricht schon ein Vergleich mit den (notorischen) Usancen schriftlicher Kommunikation im geschäftlichen, privaten, aber auch behördlichen Verkehr. Im Kopf sämtlicher sorgfältiger Schriftstücke finden sich Kontaktdaten (Anschriften, Telefonnummern, E-Mail-Adressen). Diese Angaben verfolgen den Zweck und vermitteln die Erwartungshaltung, dass alle auf das nämliche Schriftstück bezugnehmenden Antworten an die im Kopf angegebenen Kontaktdaten übermittelt werden sollen. Eine Übermittlung an eine andere Adresse ist demnach weder üblich, noch erwünscht. Sowohl ein Durchschnitts- als auch ein rechtlich gebildeter Empfänger verstehen daher die Nennung einer Adresse im Kopf eines Schreibens dahingehend, dass Antwortschreiben jeder Art – daher auch eine Bescheidbeschwerde – an die dort genannten Adressen zu richten sind. Es liegt hier daher geradezu ein Musterbeispiel einer Irreführung vor (hier: die behördlich kundgemachte Adresse war abweichend zu jener im Briefkopf des Straferkenntnisses).  

Durch die (nicht bloß zufällige oder irrtümliche, sondern beabsichtigte und systematische) Bekanntgabe einer E-mail Adresse im Briefkopf als Kontaktadresse mit dem darin enthaltenen offenkundigen Auftrag an den Empfänger, spezifisch in diesem Weg mit der Behörde in Kontakt zu treten, hat sie für jeden Schriftverkehr, der im Zusammenhang mit dem zugestellten Straferkenntnis steht, daher auch für die Einbringung einer Beschwerde, ihre mit der Kundmachung grundsätzlich verfügte organisatorische Beschränkung auf eine andere E-mail Adresse wieder durchbrochen und muss dies auch gegen sich gelten lassen.

Volltext der Entscheidung